Wien und Walzerseligkeit, diese Begriffe scheinen untrennbar verbunden. Der aktuelle Ballkalender bestätigt das Vorurteil: Die Tanzsaison dauert vom November bis in den Sommer, acht Monate „Fasching“ – statt der traditionellen acht Wochen zwischen Dreikönigstag und Aschermittwoch. Nobelbälle, Gschnasfeste und Umzüge finden ebenso ihr Publikum wie Veranstaltungen der Faschingsgilden. Der „Villacher Fasching“ ist mit mehr als zwei Millionen Zusehern der unangefochtene Publikumshit des ORF-Fernsehens.
„Fasching“ ist in Österreich und Süddeutschland das Synonym für Fastnacht beziehungsweise Karneval. Das Wort taucht im 13. Jahrhundert als „Vaschanc“ oder „Vastschang“ auf und meint das Ausschenken des Fastentrunks. Es verweist auf Bräuche in den Zünften und damit auf städtische Rituale. Erst im 17. Jahrhundert wurde die Silbe „ang“ durch „ing“ ersetzt.
Der Wiener Opernball gilt als „Ball der Bälle“. Seit 1956 geht er am Donnerstag der letzten Faschingswoche in der Staatsoper über die Bühne. Traditionell geben sich hier die Reichen und Schönen ein Stelldichein. Die Damen tragen das „große, lange Abendkleid“, für die Herren besteht Frackzwang. Eine Eintrittskarte kostet 215 Euro, eine Doppelloge 16.000 Euro, ein Tisch für vier Personen zwischen 300 und 600 Euro.
Traditionell um 21 Uhr öffnen sich die Tore des Repräsentationsbaus an der Ringstraße, eine Stunde später beginnt die Eröffnungszeremonie. 2003 sang der Kinderchor der Opernschule Strauß‘ „Tritsch-Tratsch-Polka“. Erstmals gab Thomas Schäfer-Elmayer das Kommando „Alles Walzer“. Als Innovation galten die Großbildfernseher in den verschiedenen Sälen, um allen Gästen Gelegenheit zu geben, den Festakt am Beginn mitverfolgen zu können. Für das ORF- Fernsehen war dieser Opernball der meist gesehene seit Beginn der elektronischen Reichweitenmessung 1991: 1,999 Millionen Österreicher sahen die Eröffnungszeremonie um 21.50 Uhr. „Hinter die Kulissen“ blickten um 21.04 Uhr 1,508 Millionen. Damit lag die Eröffnung an dritter und Backstage an 12. Stelle der Top 20-Sendungen im Februar 2003. Leitmotiv der Veranstaltung war die Farbe Gelb: 45.000 gelbe Rosen dienten zur Dekoration der Staatsoper. Auch die Kristallsteine auf den Krönchen der jungen Damen des Eröffnungskomitees schimmerten goldener als sonst.
Dass sich darüber nicht nur die Besucher freuen, sondern auch die Unternehmer, lässt sich alle Jahre wieder den Tageszeitungen entnehmen. Vom „schwungvollen Millionenreigen im Dreivierteltakt für die Wiener Wirtschaft“ ist die Rede und vom Füllen des „Jännerlochs“ der Touristiksaison. Der Opernball bringt 15 Millionen Euro an Umwegrentabilität. Zu den großen Gewinnern zählen Hotels, Handel und Dienstleister, wie Friseure oder Kostümverleiher.
Schon bei der Ausschreibung für den Bau der Hofoper (1860) stand fest, dass das Haus „auch zur Abhaltung von Opernbällen bestimmt“ sein solle. Bei der ersten Opernsoiree, 1877, gab Johann Strauß ein Konzert. Ab dem folgenden Jahr veranstaltete die Direktion eine Opernredoute. „Die jetzt im Opernhause stattfindende Redoute ist ein eigenartiges Fest. Es gibt nirgendwo seinesgleichen, weder in Italien, noch in Paris, am allerwenigsten in Berlin. Die Wiener Redoute ist ein im Theater stattfindender Maskenball ohne Tanz. ... Früher fand dieses Carnevalsfest in den Redoutensälen der kaiserlichen Hofburg statt. ... und zwar bis das neue, prachtvolle Opernhaus, dessen Boden binnen weniger Stunden gehoben und gesenkt und in ein einziges Parkett umgewandelt werden kann, Ort und Stelle für das Fest bot. ... Im Saale müssen die Damen maskiert erscheinen, in den Logen hingegen thronen sie in Balltoiletten und die Besucher der Galerien, welche einfach eintreten können, wie sie wollen, haben nur das Recht, niederzuschauen auf eine Welt, in der man sich unterhält. ... Neben bescheidenen, den einzelnen Maskenleihanstalten oder Garderoben der verschiedenen Theater entlehnten, mehr oder minder verschlissenen Seidenfähnchen, sanierten Blumen, verwelkten Spitzen, abgegriffenen Fächern, sieht man Phantasiemasken, voll Frische und Schönheit in Stoff und Schnitt, die funkelneu aus den Ateliers von ersten Schneiderinnen hervorgegangen sind. ... Und die Herrenwelt geht vergnügt einher mit dem stolzen Siegeslächeln desjenigen, welcher sich sagt: ‚Das alles geschieht meinetwegen!‘“, schildert der Schriftsteller Eduard Pötzl (1851–1914) Ende des 19. Jahrhunderts die Opernredoute.[410]
Nach langer Unterbrechung fand 1924 wieder eine solche statt. Die Dekoration besorgte Alfred Roller (1864–1935), Präsident der Wiener Secession, später Mitbegründer des Werkbundes und der Salzburger Festspiele. Den ersten „echten“ Opernball gab es 1935.[411] Damals berichtete die „Kronen-Zeitung“: „Seit 1929 wurde im traditionsreichen Haus am Ring nicht mehr Fasching gefeiert. Am 26. Jänner 1935 ist es wieder so weit und diesmal findet das gesellschaftliche Ereignis erstmals unter dem Namen Opernball statt. Bundespräsident, Regierung, Diplomatie und 4000 Gäste beobachten die Eröffnung.“[412] Zum letzten Mal vor dem Zweiten Weltkrieg tanzten die Wiener im Februar 1939. Am 12. März 1945 wurde die Oper nahezu vollkommen zerstört. Am 5. November 1955 mit einer Festvorstellung von Beethovens „Fidelio“ wieder eröffnet, fand darin schon drei Monate später wieder ein Opernball statt. „Die Presse“ kommentierte ihn so: „Eigentlich ist der Opernball kein Wiener Ereignis mehr, sondern schon ein gesamteuropäisches. Eine Ballnacht, um die uns die Welt beneidet.“[413]
Der Opernball mit seinen Traditionen und Variationen ist ein typischer Brauch der Großstadt. Und wo ein Brauch ist, ist meist ein Antibrauch nicht weit: beim Opernball ist es die „Opernballdemo“. 2003 verlief sie ohne nennenswerte Zwischenfälle. Während sich drinnen 5000 Gäste unterhielten, standen draußen 700 Demonstranten 1400 Polizisten gegenüber. 1968, während des Vietnam-Kriegs, warfen Mitglieder des Verbands Demokratischer Studenten von der Galerie der Staatsoper Flugblätter ins Parkett. Zwei Jahrzehnte später gab es massive Unmutskundgebungen gegen das Luxus-Fest. 500 Demonstranten protestierten vor dem Gebäude gegen den Besuch des damaligen Bayrischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauss, der in Wackersdorf eine atomare Wiederaufbereitungsanlage plante. Faule Eier und Leuchtraketen flogen gegen die Oper.[414] Im Verlauf des Polizeieinsatzes wurden 40 Personen verletzt und ebenso viele festgenommen. Im nächsten Jahr protestierte man gegen den Sozialabbau. 1989 hieß die Losung „Eat the rich“. 1200 Kundgebungsteilnehmer und 2000 Polizisten standen einander gegenüber. Es gab 52 Verletzte, davon die Hälfte Polizisten, zwölf Festnahmen und beträchtlichen Sachschaden. Die autonome Szene bezeichnete die Demonstration als „wirklichen 1. Mai“.[415]
1990 meinte der Kommentator einer Tageszeitung: „Auch die Opernball-Demo hat heute bereits Tradition und stellt sich somit genauso in Frage wie ihr verschwommenes Feindbild.“[416] 1999 konstatierte ein Reporter „das Ende einer anarchischen Tradition“. Er erblickte 17 Opernball-Demonstranten „bewacht von mehr als 300 Polizisten“ und kam zum Schluss: „Die Opernball- Demonstration 1999 ist mehr ein sentimentales Treffen der 68-er-Spätlese, als eine tatsächliche Protestkundgebung ... Die Demonstranten von einst vergnügen sich jetzt selber auf Bällen – etwa beim ‚Ball des schlechten Geschmacks‘ oder beim weitaus besser besuchten ‚Opferball‘ in der Akademie der bildenden Künste.“[417]
Die Wiener Straßenzeitung „Augustin“ veranstaltet den Gegen-Opernball als „sinnlichste und wienerischste Negation des elitären Events in der Staatsoper“ und knüpft dabei an das alte Motiv der „verkehrten Welt“ an. So heißt es in der Presseaussendung 2003, als der Ball nach einjähriger Zwangspause (Brand der Sofiensäle) in der Stadthalle stattfand: „Der Wiener Fasching gehört traditionellerweise den Schlawinern, Strizzis und StrawanzerInnen. Mit dem Opferball erobern sich die Ausgegrenzten den Gipfel des Faschings zurück. ... Verkehrte Welt: Der vergessene Sinn des Faschings wird wieder erlebbar. Die MusikerInnen des Opferballs nehmen teil an diesem Spiel und verzichten auf Gagen. Sinnliche Umverteilung: Wer Geld hat, sorgt mit seinem Eintritt dafür, dass die, die nichts haben, keinen Eintritt zahlen.“ Dieser betrug 15 Euro beziehungsweise 13 Euro (Vorverkauf), für Obdachlose 0 Euro. An die 700 Gäste kamen.
Rund 900 Personen finden sich am Nachmittag des „Nobeldonnerstags“ beim „kleinen Opernball“ ein. Er wurde 1963 von der ÖVP Neubau – als Dankeschön für die ältere Generation – ins Leben gerufen. Im Festsaal des Rathauses – mit 71 mal 20 m der größte historische Saal Österreichs – sind goldene und diamantene Hochzeiter und über neunzigjährige Wienerinnen und Wiener die Ehrengäste, neuerdings auch „Neo-Wiener“.
Die charakteristische Wiener Ballkultur hat ihre Wurzeln in der Angst der Obrigkeiten. Weil der Hof Konspirationen und Gewalttaten im Schutz der Maske fürchtete, blieb die Narrenfreiheit der privilegierten Oberschicht vorbehalten. Vorläufer der Kostümbälle waren die barocken „Wirtschaften“. Kaiser und Kaiserin verkleideten sich als „Wirtsleute vom Schwarzen Adler“ und ihre Gäste als Bauern. „Anno 1667 als die Faschings-Zeit herbey kommen hat sich der Kayserl. Hof sowohl an angestellten Würthschafften als sinnreichen und zugleich sehr ergötzlichen Comödien, allermassen erlustiget. Unter solchen Ergötzlichkeiten aber wurden von Ihrer Kayserl. Majestät Mund-Geschirr ein auf 1000 Reichsthaler geschätzter Pokal nebst mehr andern kleinern Mund-Geschirren auf 6000 Thaler aestimirt, entfremdet.“ 1719 heißt es: „Den 21. Febr. ward in der Kayserl. Burg ein prächtige Bauern-Hochzeit gehalten, dabey die regierende Kayserl. Majestätten Würth und Würthin gewesen.“[418]
Die Ballarena des Adels waren die Redoutensäle in der Hofburg. Joseph II. (1741–1790) ließ Bürger teilnehmen, doch durften Masken nur im Saal getragen werden und die Kostüme mussten „ehrbar“ sein. Der große und der kleine Redoutensaal wurden 1992 durch einen Brand zerstört, doch wieder rekonstruiert.[419] Zu Franz Josephs Zeiten fand in den Redoutensälen das exklusivste aller Faschingsfeste, der „Ball bei Hofe“, statt. 700 bis 800 Auserwählte erschienen: „Die Ankömmlinge versammeln sich im Rittersaal, der im Glanze elektrischer Beleuchtung strahlt und aufs reichste mit Palmen und herrlichem Blumenflor aus Schönbrunn geschmückt ist. Da majestätische Frauen in ihren Prachttoiletten, dort die in duftigen Ballhüllen erschienenen Komtessen im Gespräch mit jungen Kavalieren. Überall glänzt es von Gold: auf den Kragen der Generale, auf den Fracks der Minister und Geheimräte, auf der Taille der jungen Offiziere. Weiße und bunte Federbüsche wallen, die Großkreuze der mannigfaltigen Orden werden zur Schau getragen. Die Kirchenfürsten erscheinen in ihren violetten Gewändern – kurz, der Hofball bietet einen lebendigen Ausschnitt aus dem jeweiligen Trachtengemälde des Highlife der Welt.“
Es herrschte ein strenges Zeremoniell: Nach dem Einzug des Kaisers mit der ersten Dame des Hofes, der Erzherzoge und -innen, weiterer Angehöriger und den Diplomaten erhob der Hofkapellmeister den Dirigentenstab und die rotbefrackten Mitglieder der Hofkapelle spielten den ersten Walzer. Der Monarch nahm Vorstellungen entgegen, pflegte dann eine Weile dem Tanz zuzusehen und Cercle zu halten, ehe er sich in den Neuen Saal zurückzog, „wo an neun Tafeln für die Hofgesellschaft gedeckt ist, während in den anstoßenden Gemächern rund 70 Tafeln für die übrigen Gäste aufgestellt sind, die je zehn an einer Tafel speisen. Das Souper dauert eine halbe Stunde, dann wird noch ein letzter Walzer und eine Schnellpolka getanzt und punkt 12 Uhr ist das Fest zu Ende.“
Zwei Wochen davor waren 2000 Gäste zum „Hofball“ erschienen, dessen Attraktionen nicht nur die Begegnung mit der Herrscherfamilie und das Tanzvergnügen, sondern auch kulinarischer Art waren: „Jeder der Gäste nimmt nach Belieben von den Büfetts, bei denen vom Anfang bis zum Ende des Balles ein riesiges Gedränge herrscht. Ein Hauptbedarf ist an Zuckerln und Backwerk. Davon muß die Hofzuckerbäckerei nicht weniger als 7–8 Zentner herstellen, da es Usus ist, daß die Hofballbesucher ihren Familien Hofballzuckerln mitbringen“, berichtete der Lokalhistoriker Reinhard E. Petermann 1908.[420]
Im Biedermeier baute man alte Einkehrgasthöfe zu luxuriös ausgestatten Ballsälen um, errichtete neue Etablissements und verwandelte sogar Hallenbäder in ein Tanzparkett. Berühmt waren in Wien die „Goldene Birne“ auf der Landstraße, der „Sperl“ in der Leopoldstadt, der Apollosaal auf dem Schottenfeld, das „Elysium“ in der Innenstadt, der Sophienbadsaal auf der Landstraße und das „Colosseum“ in der Brigittenau.[421]
1784 schrieb der aus Bayern zugewanderte Schriftsteller Johann Pezzl (1756–1823) über den Wiener Fasching: „Fasching heißt in der gemeinen Sprache der Wiener, was man sonst die Fastnacht oder den Karneval nennt. Für die Wiener, die alten erklärten Freunde von allem, was Herz und Sinne vergnügt, ist dieser Zeitraum ein hohes, heiliges Fest. Die Hauptbeschäftigung ist Tanz und was dazu gehört. Der Fasching fängt am 7. Jänner an und dauert bis in den hellen Aschermittwoch. An allen Straßenecken kleben weiße, auch rot, blau und gelb gefärbte Einladungszettel mit den größten Buchstaben, die man nur in irgendeiner Druckerei auftreiben kann: Heute ist Musik in dem N.N. Saal mit Trompeten und Pauken, Musik mit Wachsbeleuchtung usw. Der vornehmste Lustplatz ist die Redoute. ... Nebst dieser ist in der Stadt nur ein einziger Tanzsaal auf der Mehlgrube. Die anderen sind alle in den Vorstädten, man bezahlt beim Eintritt gewöhnlich 20 Kreuzer, die man aber nach Belieben verzehren kann. Der Pöbel strömt überall hin, wo eine Weinflasche blinkt und ein Hackbrett klimpert. “[422]
Eineinhalb Jahrhunderte später stellte der Vater der Wiener Urbanethnologie, Leopold Schmidt (1912–1981), über die einst populären Tanzveranstaltungen in den Vorstädten und Vororten fest: „In der Frühzeit der Großstadt Wien feierte der Großstadtrand seine eigenen Feste, die einige Jahrzehnte hindurch für das Wiener gesellschaftliche Leben von großer Bedeutung waren, die Fiaker- und Wäscherbälle. Bis heute sind sie in der wienerischen Literatur und auf der Bühne lebendig“. Die Fiakerbälle fanden bis 1913 am Aschermittwoch unter anderem im Fünfhauser Brauhaus statt.[423]
Immer wieder wurde versucht, die Wäschermädelbälle zu beleben, zuletzt im „Strauß-Jahr“ 1999 zum Eintritt von 35 Euro.[424] Sie können auf eine stolze Tradition verweisen. Zunächst fanden sie im Gasthaus „Zur Schäferin“ (Bezirk 9, Sechsschimmelgasse 16–18) statt. Er gehörte zum Zentrum der Wäscherkolonie, der „Wäscherburg“, wie man das Wohnhaus und seine Nebengebäude wegen seiner basteiartig wirkenden Bruchsteinmauern nannte. Nachdem der Wirtshaussaal für die Tanzveranstaltungen zu klein geworden war, übersiedelten die Wäschermädelbälle in das Gasthaus „Zum goldenen Steg“ (Bezirk 9, Nußdorfer Straße 3). Schon 1830 baten die Waschfrauen „ihren“ Fürsten Liechtenstein um eine Legitimation, durch die sich ihre „echten“ Bälle von den zahlreichen Nachahmungen unterscheiden sollten. Das „Wäscherschild“ wurde 1888 durch ein neues ersetzt, das die typischen Arbeitsvorgänge mit Figurinen in einer kleinen Vitrine zeigt. Diese wurde in einem feierlichen Einzug von mehreren Teilnehmerinnen in Berufstracht durch den Ballsaal getragen. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wetteiferten viele Lokalitäten in der Ausrichtung „echter“ Wäschermädelbälle.
Eduard Pötzl schreibt über einen solchen im Gasthaus „Zum goldenen Steg“: „Wer hier nicht tanzen gesehen hat, hat überhaupt keinen Begriff, wie in Wien getanzt wird. In jedem Wäschermädel steckt eine Ballett-Tänzerin. Jeder Zoll des Körpers tanzt, und in welch eigenartig beschwingtem Rhythmus! Beim ersten Blick auf das Gewühl hält man es für unmöglich, daß auch nur ein Schritt möglich wäre. Aber da jede gleich gut tanzt, hält sich die ganze Masse taktmäßig in Schwung und es tanzt keine für sich, sondern alle mit allen. Ringsherum sitzen die älteren Bürgersleute und schauen mit Wohlgefallen auf das Treiben, das einen so ganz anderen Puls hat als die Bälle in der Stadt drinnen und das jetzt auch von vornehmen Herren aufgesucht wird, die sich am selbigen Abend irgendwo auf einem Eliteball recht grimmig gelangweilt haben.“[425]
Zu den Arrangeuren zählten der beliebte und beleibte Wirt Engelbert Herzog und die „Pascher-Pepi“ genannte Volkssängerin Josefa Erhardt. Nicht nur die Lokale in den Vorstädten und Vororten folgten dieser Mode, sogar auf dem Petersplatz verwandelte sich das Etablissement „Eldorado“ in eine Hängstatt, und das auch außerhalb der Faschingszeit. So etwas rief Künstler auf den Plan, die sich um die „Purificierung der arg mißbrauchten Wäschermädel-Bälle“ bemühten. 1887 inszenierte der aus Bayern zugewanderte Maler Johann Michael Kupfer (1859– 1917) seinen ersten „Urwiener Wäschermädelball“ bei den „Drei Engeln“ auf der Wieden. Das Schrammel-Quartett, Deutschmeister, die Kapelle Philipp Fahrbach, Jodler und Kunstpfeifer traten auf. Die Festkostüme für die Damen hatte der für die Darstellung von Wiener Szenen und „Volkstypen“ bekannte Künstler in idealisierender Weise selbst entworfen.[426]
In Dekoration und Kostümkunde bewandert, begannen Mitglieder des Albrecht-Dürer-Vereins nach 1850 mit Kostümfesten, die dann ein Jahrhundert hindurch im Künstlerhaus zur Institution wurden. Interessierte konnten die Festdekoration vorher gegen eine Spende bewundern, was 1901 sogar der Kaiser tat. Der Erlös kam Not leidenden Künstlern zugute. „Die Dekorationen und Kostüme waren sehr aufwendig. Man versetzte sich für eine Nacht in die Vergangenheit. Erst gegen Ende des Jahrhunderts hat man sich auch der Zukunft zugewandt, wie der Weltausstellung in 100 Jahren u.a. Bei diesen Festen ging es sicher sehr lustig und gemütlich zu“, meint der Künstlerhaus-Archivar Wladimir Aichelburg.[427] Die Bezeichnung „Gschnasball“ verdankten diese Feste dem Umstand, „daß man die Toiletten in künstlerischer Form, aber aus minderwertigem, ‚gschnasigem‘ Material herstellte, z.B. die Hermelinmäntel der Damen aus Watte mit angenähten gedörrten Zwetschken.“[428]
Legendär waren auch die „Narrenabende“ des Wiener Männergesangvereins in den Sophiensälen und die Karnevalsfeste des Schubertbundes. Bis heute veranstaltet jeder Verein, der etwas auf sich hält, einen Ball, ein Kränzchen, ein Gschnasfest oder eine Faschingsparty. Dazu kommen private Feste und solche, die von Restaurants inszeniert werden – wie von den Wirten im „Bermuda-Dreieck“ rund um die Ruprechtskirche „e-rot-ische Nächte“, bei denen man rote Kostüme bevorzugt. Sogar Pfarren verzichten ungern auf die Einnahmequelle eines Faschingsballes, obwohl dieser im Wiener Vergleich 1990–1997 deutlich an Beliebtheit verloren hat.[429]
Die Entwicklung der Tanzstätten und des Walzers hat nicht nur Historiker und Musikwissenschafter beschäftigt, sondern auch den Psychotherapeuten Erwin Ringel (1921– 1994), der feststellte, „daß die Tanzenden im Zusammenspiel von Musik und Bewegung in einen erregten, fast rauschartigen Zustand der Ekstase gerieten. Einiges spricht dafür, daß der Wiener Walzer der Tendenz, emotionalen Zusammenballungen eine unbedingt benötigte Entlastung zu verschaffen, seine Entstehung und seinen Aufstieg bis zu weltweitem Ruhm verdankt. Daß die Wiener in jener Zeitperiode unter starkem Druck standen, darf wohl angenommen werden. Die Sehnsucht nach gesellschaftlichen Veränderungen lag in der Luft, konnte sich aber infolge der herrschenden autoritären und unterdrückenden Verhältnisse nicht durchsetzen. Wenn man in der Walzermode einen Verdrängungsversuch erkennt, wird es einen nicht wundern, daß in diesem wunderbaren, vollendeten Tanz die zentrifugalen Kräfte vorherrschen: Das Entschweben in eine ‚bessere Welt der Seligen‘, die nur leider jeder Realität entbehrt.“[430]
Im Fasching ist alles erlaubt, was sonst verboten ist: Geschlechterwechsel, sexuelle Freizügigkeit, Protest und Parodie, Umkehrung der Herrschaftsverhältnisse, derbe Scherze. Mit der Narrenfreiheit fällt die Grenze zwischen Wildheit und Zivilisation. Gesetze halfen dagegen wenig, begonnen vom Verbot winterlicher Feste, die an Fastnachtsspiele erinnern (Senatus Consultum), von dem der römische Geschichtsschreiber Titus Livius (59–17 v.Chr.) berichtet.[431] Solche Phänomene fordern Erklärungen heraus: psychologische, philosophische, ethnologische, soziologische, religiöse, ... So gilt auch für den Fasching, was Sigmund Freud (1856–1939) ganz allgemein über das Fest schreibt: „Ein Fest ist ein gestatteter, vielmehr ein gebotener Exzess, ein feierlicher Durchbruch eines Verbotes. Nicht weil die Menschen infolge irgendeiner Vorschrift froh gestimmt sind, begehen sie Ausschreitungen, sondern der Exzess liegt im Wesen des Festes; die festliche Stimmung wird durch die Freigebung des sonst Verbotenen erzeugt.“[432]
So lange das Narrenfest zeitlich begrenzt unter Kontrolle bleibt, kann es sogar die bestehenden Zustände festigen, führt der englische Sozialanthropologen Viktor Turner aus. Er spricht vom „Social drama“ als Konfliktlösungsstrategie: Jede Form des Zusammenlebens, auch wenn es noch so friedlich erscheint, trägt ihr soziales Drama in sich. Seine Funktion ist es, unsichtbare Sozialstrukturen und unterschwellige Konflikte erkennbar zu machen. Turner unterscheidet dabei vier Phasen: (1) Bruch zwischen Personen oder Gruppen, signalisiert durch öffentliche Verletzung von Normen, die die sozialen Beziehungen regeln. (2) Krise mit der Tendenz zur Eskalation, Gefährdung der sozialen Ordnung, Orientierungslosigkeit, Zweifel an bisherigen Wahrheiten und Autoritäten. (3) Ausnahmezustand oder „liminale Phase“: Zeit der Ausgrenzung aus dem Fluss alltäglicher Aktivität. Er ermöglicht und erfordert Selbstdarstellung und Metakommunikation. Indem soziale Normen suspendiert oder parodiert werden, ist dieser Zustand grundlegend für soziale Erfahrung und soziales Bewusstsein. Auch Maßnahmen zur Restauration sind möglich – Konfliktrituale als Versuch der Bewältigung. Der Ausgang ist ungewiss. Es kann (4) zur Reintegration der verfeindeten Gruppen oder zur Spaltung zwischen den Parteien kommen.[433]
Dieser Ansatz hat große Ähnlichkeit mit dem Konzept der „Rites de Passage“ für kollektive Rituale: Der französische Ethnologe Arnold van Gennep (1873–1957) unterschied drei aufeinander folgende Zustände: (1) Trennung, Phase der Ablösung vom vorherigen Zustand (2) Schwelle / Zwischenstufe, die gefährliche Phase zwischen „schon“ und „noch nicht“ (3) Umwandlung / Wiederaufnahme – die Phase der Neuintegration. Am Ende zeigt sich die soziale Ordnung bestätigt.
Volkskundler in der Nachfolge der Brüder Grimm waren von der Verwurzelung des Brauchtums in der germanischen Mythologie überzeugt. Der NS-Ideologie passte die „heidnische Fasnacht“ hervorragend ins Konzept: „Von höchster offizieller Stelle erging die Weisung, die christlichen Hintergründe zu negieren und an ihrer Stelle ein heidnisches Herkommen der ‚Fasnacht‘ zu propagieren. Die Figuren, Riten und Begriffe der Brauchzeit erfuhren systematisch eine Umwertung, die an entsprechende romantische Mythologien anschlossen. Aus der Fastnacht, deren Bezeichnung ihre Abhängigkeit von der Fastenzeit assoziiert, entstand die ‚Fasnacht‘, deren Etymologie andere Bedeutungen nahelegte. Faseln, ein alter Begriff für ‚tollen, toben‘ und ‚fruchtbar machen‘, erschien als Quelle für die Erklärung der Brauchzeit weitaus passender. Die Massenmedien erreichten in wenigen Jahren, daß die Bevölkerung diesen Traditionen ein heidnisch-germanisches Herkommen beimaß. Die Fasnachtsfeier galt nun als Sommer-Winter- Kampf und Fruchtbarkeitskult. Kritische Einwände wurden unterdrückt“, schreibt der deutsche Ethnologe Jürgen Küster.[434]
Obwohl diese Zusammenhänge längst bekannt und die „Theorien“ widerlegt sind, tauchen überholte Hypothesen unter anderem im Zusammenhang mit Fasching und Masken noch immer auf. Die Münchener Schule der Volkskunde distanziert sich von geistig-gestrigen Kontinuitätstheorien und fand andere Hintergründe: Brauchphänomene sind abhängig von den Rahmenbedingungen des wirtschaftlichen und politischen Lebens der betreffenden Zeit. Da Jahrhunderte lang die (katholische) Kirche eine gesellschaftliche Macht- und Meinungsbildungsinstanz darstellte, finden sich Grundlagen vieler Bräuche in der Theologie.[435] Vertreter dieser Denkrichtung sind der Passauer Volkskunde Ordinarius Walter Hartinger, der Münchener Professor Dietz-Rüdiger Moser und der Lehrbeauftragte Jürgen Küster. Ihre Position: „Es gibt ein öffentliches Bewußtsein, das in diesen Traditionen viel eher vor- und außerchristliche Elemente zu postulieren bereit ist und archetypische Grundzüge menschlichen Verhaltens rekonstruiert, als die Historizität und damit die Christlichkeit der Brauchformen im einzelnen nachzuvollziehen. Damit entgeht vielen Beobachtern aber das Wesen dieser Phänomene. Sie dienten als Medium der Lehrvermittlung und zugleich als Instrument christlicher Erziehung.“[436]
Auf den Karneval bezogen schreibt Küster: „In den Jahren zwischen 1559 und 1573 gab es an einer Musterlehranstalt der Jesuiten in Rom, dem Collegium Germanicum, die Institution eines Karnevalskönigreiches. Dort herrschte während der Fastnacht ein Narrenkönig, der gewählt und inthronisiert wurde und dem man huldigte. Bankette, Rügegerichte, Ausfahrten und theatralische Spiele schlossen sich den Feierlichkeiten an. Am letzten Faschingabend erschien der König und legte nach kurzer Rede, in der er bewies, daß das Reich dieser Welt nur kurz und vergänglich sei, die Insignien nieder. Solche Narrenreiche hatten seinerzeit Tradition. Sie gehörten zu den ältesten Überlieferungen der Fastnacht und sind schon 1283–1413 in Lille erprobt worden. Die Veranstalter des Kölner Karnevals und des Münchner Faschings kamen im 19. Jh. auf diese Modelle zurück.“[437]
Der deutsche Theologe Manfred Becker-Huberti sieht die Interpretatio christiana in der Zwei- Welten-Lehre des heiligen Augustinus (354–430) begründet, „bei der dualistisch die civitas diaboli, das Reich des Teufels, der civitas dei, dem Reich Gottes, erfüllt im himmlischen Jerusalem, gegenübersteht. Charakterisiert wird der Herrschaftsbereich des Teufels durch Lärm, Narrheit, Streit und Diesseitsorientierung, das Reich Gottes dagegen durch Ruhe, Frieden, Gottesliebe und Jenseitsorientierung. Für das Reich des Bösen gab es historisch reale Beispiele: das (alte) Babylon und das (neue) Babylon, das heidnische Rom. Herr der civitas diaboli war natürlich der Teufel. In seinen Herrschaftsbereich begab sich der Mensch als Narr. Seit dem Mittelalter definiert sich der Narr und Gottesleugner in seiner Erscheinung mit Schelle und Pauke: viel Lärm um nichts.“[438]
Der Züricher Ethnologe Peter Pfrunder hat in der Berner Fastnachtskultur Konfliktrituale der Reformationszeit nachgewiesen. In seinem Buch „Pfaffen, Ketzer, Totenfresser“ bringt er eine kritische Synthese der Fastnachtsinterpretationen. Dies ist deshalb wichtig, weil der „Wildwuchs spekulativer Theorien“ neuere Erkenntnisse der europäischen Ethnologie überwuchert: Nach Verzerrungen unter dem Einfluss des Nationalsozialismus dominierten Erklärungen des Fastnachtsbrauchtums als Toten- und Vegetationskulte. Studien zum Maskenwesen schienen der Hypothese vom heidnischen Ursprung recht zu geben. In den sechziger Jahren bemühte sich der Tübinger Arbeitskreis um die Erforschung der historischen und sozialen Zusammenhänge. Man erkannte den bürgerlich-städtischen Charakter der Fastnacht im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit. Man studierte Belege für die städtische Fastnacht – für eine ländliche fehlen sie weitgehend – vom 13. bis zum 16. Jahrhundert.
Demnach war es wie zu anderen Terminen üblich, dass sich die Bürger zu einem festlichen Mahl mit Musik und Tanz zusammenfanden. (Auch die Wiener Stadtrechnungen verbuchen 1456 Ausgaben von 7 Pfund für ein solches Fest: „Das vastnachtmahl mit den Frawn als unser Herr Kunig ... mit ihnen ain tancz hielt“.) Die These vom heidnischen Ursprung konnte der Quellenkritik nicht standhalten. Weder in den Masken, die nicht vor dem 15. Jahrhundert zu finden sind, noch in den Kostümen lässt sich ein kultischer oder mythischer Hintergrund erkennen, auch keine für alle sozialen Schichten festgefügte, verbindliche Brauchtradition. Prägende Einflüsse aus dem Umfeld der Kirche sind unter anderem der Termin, die Stellung im Kirchenjahr und verschiedene Bezeichnungen.[439]
Eine andere Gruppe von Archivalien deutet darauf hin, dass auch die Klöster eine Zeit der Ausgelassenheiten vor der entbehrungsreichen Fastenzeit akzeptierten. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit wurden dabei Gesinde und Arbeiter großzügig bewirtet. In Köln verkleideten sich Mönche und Nonnen über ihrem Habit, und nannten das „Mützenbestapelung“.
Die Umkehrung aller Werte, die selbst vor dem Heiligsten nicht Halt machte, fand in den Narrenfesten der Subdiakone (asinaria festa, festa stultorum, festum follorum, festum baculi) Ausdruck. „Man erwählte in den Kathedralkirchen einen Narrenbischof. Dieser hielt alsdann einen feierlichen Gottesdienst und sprach den Segen. Die vermummten Geistlichen betraten den Chor mit Tanzen und Springen und sangen Zotenlieder. Die Subdiakone aßen auf dem Altar vor der Nase des messelesenden Priesters Würste ... nach der Messe lief, tanzte und sprang jedermann nach seinem Gefallen in der Kirche herum und erlaubte sich die größten Ausschweifungen. ... Zu Antibes nahmen die Laienbrüder die Sitze der Priester im Chor ein. Sie zogen zerrissene priesterliche Kleider an, und zwar umgewendet; sie hielten auch die Bücher verkehrt, die sie scheinbar lasen ... sangen nicht Psalmen oder liturgische Gesänge, sondern murmelten unverständliche Worte und blökten wie das Vieh.“
Davon inspiriert war 2002 ein Faschingskonzert der Gesellschaft der Musikfreunde unter Leitung von Rene Clemencic, der mittelalterliche Quellen für das musikalische „Eselsfest“ zusammengestellt hatte: Das begeisterte Publikum konnte die Inthronisation eines Narrenbischofs miterleben, wurde Zeuge einer Trinkermesse mitsamt dem handfesten „Credo in bacchum reum“ und erhielt einen Eindruck vom anschließenden tolldreisten Umzug der Kleriker durch die Stadt. Der Komponist und Dirigent fand auch einen Text der Pariser Sorbonne. Darin verteidigt ein Gelehrter solche Bräuche des Jahreswechsels und Faschings: „Unsere Vorfahren, welche große Leute waren, haben dieses Fest erlaubt, warum soll es uns nicht erlaubt sein? Wir feiern es nicht im Ernst, sondern bloß im Scherz, um uns nach alter Gewohnheit zu belustigen, damit die Narrheit, die uns eine andere Natur ist, und uns angeboren zu sein scheint, dadurch wenigstens alle Jahre einmal sich austobe. Die Weinfässer würden platzen, wenn man ihnen nicht manchmal das Spundloch öffnete und ihnen Luft machte. ... Wir treiben deswegen etliche Tage Possen, damit wir hernach mit desto größerem Eifer zum Gottesdienst zurückkehren können.“ Gelegentliche Reformversuche blieben bis ins 16. Jahrhundert ohne Erfolg.[440]
Visitationsprotokolle von Klöstern aus dem 16. und 17. Jahrhundert rügen die übervollen Speisetafeln, Wein und Tanz. Eine deutsche Nonne berichtete 1729 von Kaffee, Tee, Schokolade, Karten- und Glücksspiel bis in die frühen Morgenstunden. Dass der Klosterfasching als Mittel des Abreagierens zahm geworden, doch nicht ausgestorben ist, zeigt eine Erzählung aus einem Wiener Frauenkloster: Gerade jenes Mitglied, das von allen wegen seiner Geduld und Nächstenliebe bewundert wurde, wünschte sich, beim Kostümfest als besonders böse Person aufzutreten. Man erfüllte ihr den Wunsch und holte eigens eine Maskenbildnerin, die ihren Auftrag perfekt ausführte. Vollkommen glücklich war die Schwester, als sie nicht nur beim Fest unerkannt blieb, sondern auch danach auf den dabei gemachten Fotos.
Seit dem Mittelalter gingen die Bewohner französischer, italienischer, deutscher und österreichischer Städte an den „fetten Tagen“ auf die Straße feiern. In Wien fanden an den drei Faschingstagen (Sonntag, Montag und Dienstag) vom 15. bis ins 18. Jahrhundert Maskenzüge statt. Die Stadt Wien ließ öffentlich ausrufen, wann diese verboten waren. Im 15. Jahrhundert gab das „Rufglöcklein“ Signal, sich zu versammeln, um dem Ausrufer zuzuhören und die Nachricht weiterzusagen. Anfangs zu Fuß unterwegs, kamen die Ausrufer im 17. Jahrhundert hoch zu Ross, das Glöckchen wurde durch kräftige Trompetenstöße vom Stephansturm aus abgelöst und die Information an sechs Stellen gleichzeitig verlautbart. Obwohl die Verlautbarungen seit 1703 im „Wiennerischen Diarium“, dem Vorläufer der amtlichen Wiener Zeitung, zu lesen waren, finden sie sich bis 1733 in den Stadtprotokollen.
Der Historiker Johann Evangelist Schlager (1786–1852) hat solche „Rueff“ zusammengestellt und fast jedes Jahr welche gefunden, die sich auf den Fasching beziehen, z.B. 1465: „Ain Ausrueffen daß nyemand in pawernkleid, in Gugeln (Kopfverhüllung) noch sonst verpunden (maskirt) in vaschang gee“. 1626: „Ruff, daß khain Mascera über 8 Uhr abents sich auf der gassen betretten lassen soll.“ Kostümiert umgehergehen, reiten oder Schlitten fahren war in den folgenden Jahren nach 20 oder 21 Uhr oder auch „nächtlicher weiß über die gewöhnliche glockhen zeit“ (meist 19 Uhr) nicht gestattet. Manchmal heißt es ausdrücklich „bei hoher straff“, 1634 und 1635 sogar bei Tag. 1654: „Daß man nach acht Uhr Abents Niemand in den Mascarn auch nicht mit Unzichtigen gebährtden und Waffen gehen“ und „auch kheine Unzichtigen Lieder singen solle“. 1662: „Rueff daß diese Faschingszeit die Maschgära Abents nach 7 Uhr auf der Gassen nit gehen, auch khain Gewöhr tragen und ungelegenheit machen sollen“. 1679: „Das die Masgen Vormittag gahr nicht und bey der Nacht nur biß auf 8 Uhr gehen sollen.“ 1691: „Verboth in Mascera zu verkhleiden sowohl zu Hause noch viel weniger öffentlich zu gehen“. 1705: „Bey Leibstraff niemandt in Mascera gehen viell weniger außer einer Hochzeit Music machen soll und zwar dieß nur bis 10 Uhr.“ Im 18. Jh. schlägt sich dann schon die neue Ballkultur in den Kundmachungen nieder. 1727: Daß alle diejenige welche diesen Fasching umb das Geld Ball zu halten gedenkhen, sich zu vor bey dem Sicherheits Präsidio anzumelden haben.“32[441]
Allem Misstrauen der Obrigkeiten zum Trotz feierten die Wiener ihren Fasching, so „... dass fast kein Mensch ware, welcher sich nicht in einen Narren verstellete. ... Es kamen hervor Scharlatan, Harlequin, Brigellae, Scapin, Venetianische Fledermäuss“, schreibt der Priester und Satiriker J.V. Neiner (1679–1748) 1734. Der Nachfolger Abraham a Sancta Claras berichtet auch über Umzugspiele, bei denen Tänzer und Komödianten in den Wohnungen ihre Darbietungen brachten: „Unter andern befanden sich auch gewisse Ball-Laufer, welche alle Häuser durchstrichen, liessen ihnen auf den Stiegen ihre kottige Schuh abbutzen, tanzten 3 Menuet, wann sie dann etwas zu fischen bekommen, gaben sie wiederumb das Versen-Geld und verfügten sich in ein anderes Haus.“[442]
Vom selben Autor stammt eine Schilderung eines klassischen Volksschauspiels aus dem Jahr 1712: „Ein vornehmer Mann litte über die massen hart an der Podagra und ersanne allerhand Mittl und Zeitvertreib seine Schmertzen zu lindern, als er aber einsten in fast unerträglichen Wüten und Toben der Podagra schreyete und lamentierte, da gienge auf der Gassen das sogenannte Adam-und Evaspiel vorbey, wo beede Personen, wie auch Gott Vatter und der Teuffel, die Historie von dem Paradis spieleten. Diese Comödianten liesse der Podagricus zu sich herauf kommen, dass sie vor ihn spieleten, bey ersten Eingang des Gott Vatters schrye der Podagrüsst schon überlaut auf und fürchtete, er würde ihm auf die Füss tretten, aber Gott Vatter verrichtete seine Person ganz sittlich und modest wie auch Adam und Eva in ihren Leinwandenen Goller, nur der grobe Teuffel verderbte den gantzen Handel, denn er rennte mit einem großen Getös eisernen Ketten in das Zimmer hinein und ungeacht alles protestieren und schreyen des Patienten, lieff er alle Winkel und Ecken der Stube durch und in solchem Lauffen stolperte der ungeschickte Teuffel über den an dem Podagra schmertzhaft sitzenden und schwitzenden ... derowegen befahle er in grausamen Zorn, dem Teuffel samt allen Comödianten die Stiegen abzuprügeln.“[443]
1719 erging eine Verordnung der landesfürstlichen Obrigkeit: „Es habe biß anhero die Erfahrenheit geben, mit was ärgerlicher Aufführung verschieden Dienst-lose Bursch bey der heran-nahenden Heil. Weyhnachts-Zeit das so genannte Adam und Eva- wie auch das Bauern- oder Hochzeit-Spiel in denen Häusern vorzustellen: benebst mit ungestümmen Blasen und Leyern auch ungebührlichen Springen und Tantzen alle Plätz und Gässen biß in den spaten Abend abzugehen: und die allhiesige Inwohner andurch zu beunruhigen sich unterfangen haben; gleichwie nun aber auf solche Weiß viel frommen Christen ein sehr grosse Ärgernuß mannigfaltig gegeben: hierwider auch von der Geistlichkeit nachdrucksame Beschwernussen eingeleget worden; als solle zu derley Excessen ernstlicher Abstellung fürohin besagtes Adam und Eva- Spiel zwar noch ferners: das Bauern- oder Hochzeit-Spiel aber, nur durch die 3. letzte Faschings-Täg, edoch dass beyde in aller Ehrbarkeit gespielet werden, verstattet seyn.“[444]
Eine romantisch-folkloristische Erfindung waren die 1841 und 1842 im Wiener Vorort Dornbach inszenierten Faschingszüge. Die Teilnehmer verkleideten sich als Husaren, Tiroler, Jäger und arme Bauern. Die Sensation war ein karnevalistisches Dampfschiff. Nachahmer gab es in Simmering und Ober-St.-Veit. 1908 bemerkte Reinhard E. Petermann: „In den letzten Jahren ist übrigens auch die Tendenz bemerkbar geworden, wieder den ‚Fasching auf der Strasse‘ mehr zu kultivieren. Die von Vereinen in Gersthof und Ober-St.-Veit veranstalteten Faschingszüge am Faschingdienstag finden wieder mehr Zuspruch als früher und in den Gassen mehren sich die Kutscher, die in den letzten Faschingstagen sich und ihre Pferde mit Bändern und Reisigbuschen zieren, Papiertrichter aufsetzen und sich große Nasen vorbinden.“[445]
1939 lud der Wiener Verkehrsverein zum „Ersten Großen Faschingszug“ ein. Eine Reihe namhafter Künstler unter der Leitung des Bühnenbildners Remigius Geyling (1878–1974) besorgte die Gestaltung. Ein Programmheft informiert über den Umzug, der am Faschingsonntag am Heldenplatz begann, durch die Innere Stadt und den ganzen Ring entlang führte: „Von A bis Z lassen wir Groß-Wien im Faschingszug heute vorüberziehn.“ Unter den „Wiener Bildern“ fanden sich neben Heiter-Harmlosem wie „der liebe Augustin“ und Gruppen in Biedermeierkostümen auch schon „Vater Rhein und das Donauweibchen“ , „Die entartete Kunst“ und „Die Achse Rom-Berlin über Wien“. Prinz Karneval im Purpurkleid und seine Garde waren mit von der Partie. Der Preis für Stehplätze und Sitze auf den Tribünen lag zwischen 1,- und 5,- RM [Reichsmark].[446]
In jüngster Zeit sind es die Kaufleute der Einkaufsstraßen, die im Rahmen ihrer Grätzlfest- Aktivitäten den Faschingszügen zu neuer Popularität verhelfen. Der 10. Wiener Faschingsumzug fand am Faschingssamstag 2003 unter dem Motto „Clowns aus aller Welt“ in Hietzing statt. 60 Gruppen, Gilden und Musikkapellen aus dem In- und Ausland ziehen durch die Straßen. Jede der fünf Wiener Faschingsgilden ist im Fünfjahresrhythmus mit der Organisation an der Reihe, wobei der eigene Bezirk zum Schauplatz wird. Bürgermeister und Bezirksvorsteher übernehmen den Ehrenschutz. Am Faschingsdienstag erfolgt das traditionelle Faschingverbrennen. Der Fasching ist ab 20 Uhr im Gildenlokal aufgebahrt, um Mitternacht schwankt der Trauerzug zu einem Platz, wo die übermannsgroße Figur unter lautem Heulen und Wehklagen verbrannt wird.
Karnevalsfeiern in der heutigen Form sind keine 200 Jahre alt. Zünftische Vorläufer gab es in den rheinischen Städten, z.B. in Köln von 1341 bis zum Dreißigjährigen Krieg, 1618. Mit der Auflösung der Zünfte nach der französischen Revolution organisierten die Kölner ihren Karneval 1823 neu mit Faschingssitzungen, Regenten und Rosenmontagszug. Johann Wolfgang Goethe gratulierte ihnen „zur gelungenen Realisierung des schönen Plans.“ Inzwischen ist der Karneval für die Rheinländer so wichtig geworden, dass sie ihn als „fünfte Jahreszeit“ bezeichnen.[447]
Hierzulande haben sich die Gruppen 1962 zum „Bund Österreichischer Faschingsgilden, Vereinigung für Fasching- Fasnacht- und Carnevals-Brauchtum in Österreich“ zusammengeschlossen. Die Initiative ging von den Salzburger und Oberösterreichischen Gilden aus, die seit den fünfziger Jahren mit ihren Kollegen in Deutschland in Kontakt standen. Nachdem die Kontakte immer intensiver und die Terminkoordination immer schwieriger geworden waren, dachten die Vertreter der Salzburger und Oberösterreichischen Gilden an einen österreichweiten Zusammenschluss, der am 17. November 1962 mit zunächst sechs Vereinen in Straßwalchen stattfand. Am 6. Jänner 1963 stellten sie sich bei der traditionellen Faschingseröffnung in Salzburg der Öffentlichkeit vor. Landeshauptmann, Bürgermeister, hohe Behördenvertreter und hunderte Gäste ausländischer Karnevals-Gesellschaften nahmen teil. Bei der nächsten Versammlung im Sommer gab es elf Mitgliedsgesellschaften, zum elfjährigen Bestand 45. Vierzig Jahre später sind es 103 Vereine. Zielsetzungen des Bundes sind nach eigenen Angaben: eine Vertiefung der intensiven Zusammenarbeit der Gesellschaften, Austausch von Ideen unter den Gilden, Hilfe bei der Durchführung des Faschings, Organisation gegenseitiger Besuche innerhalb Europas, Koordinierung der Hauptveranstaltungen und „somit eine gegenseitige Befruchtung und Weiterentwicklung des Fasching im eigenen Ort und eine Bereicherung der eigenen Veranstaltungen durch andere Freunde und ausländische Gäste.“
Die Faschingsgilden haben eigene Symbole: Eine große Rolle spielt die „Narrenzahl“ elf, eine Primzahl, die sich von den „christlichen“ Zahlen der zehn Gebote oder der zwölf Apostel deutlich abhebt. Kirchlicherseits auch als Sündensymbol gedeutet, wird elf von den Faschingsgesellschaften als „Glückszahl der Narren“ interpretiert. Am 11.11. (dem Martinsfest, dem früher als „Herbstfasching“ die Fastenzeit im Advent folgte) beschließen sie die nächsten Aktivitäten. Gründungs- und Generalversammlungen werden abgehalten, Prinzen gekrönt und der Elferrat neu besetzt. Dieses Comitée – als Parodie auf die Tribunale der französischen Revolution verstanden – organisiert die Veranstaltungen. Dazu zählen der Straßenfasching mit Umzügen und dem Erstürmen von Rathäusern, Büttenreden (kabarettistische Rügegerichte) und Faschingssitzungen. Als närrische Herrscherfigur werden Prinz Carneval oder ein Prinzenpaar gewählt, denen die Garde und der Elferrat als Regierungskabinett zur Seite stehen. Ihre uniformartige Kleidung erinnert an die französischen Besatzungstruppen im Rheinland im 19. Jahrhundert, Phantasieuniformen und Faschingsorden sollten diese persiflieren. Die Kopfbedeckung geht auf Mützen mit Schellen und Eselsohren zurück, wie sie im Mittelalter die Narren trugen. Die klassische rheinische Narrenkappe hat die Form eines Schiffchens, das wiederum im Kontrast zu der als Schiff interpretierten christlichen Gemeinschaft steht.[448] Jede Gilde pflegt ihren Gruß, z.B. „Lei-lei“, „Mö-mö“, „Ring-Ring, Wahring“ oder „Dö-dö, bling-bling“.
Wie viele Festzeiten hat der Fasching seine spezielle Speise: die Krapfen. Vor der Fastenzeit sorg(t)en sie noch kräftig für Kalorienzufuhr. Sie sind aus Germteig geformt, meist mit Marmelade gefüllt und in Fett herausgebacken. Für ihre Vorläufer, die die alten Römer „Globuli“, Kügelchen, nannten, ist ein Rezept überliefert: „Man mische geronnene Milch mit Speltmehl und mache daraus so viele Kügelchen wie es angeht. Dann tue Fett in einen heißen Kessel, koche darin die Globuli und wende sie mit zwei Kochlöffeln fleißig um. Wenn sie fertig sind, nimm sie heraus, bestreiche sie mit Honig und streue Mohn darauf.“ Althochdeutsch sollen sie „Chrapho“, mittelhochdeutsch „Kräpfe“ genannt worden sein.[449]
1486 verbot die Stadt Wien den Krapfenbäckerinnen, andere Speisen zu kochen und Gäste zu beherbergen. Der Poet Hans Sachs reimte 1540: „Ich hab zu Fastnacht euch hieher geladen, daß ihr euch Krapfen holt und Fladen, und heut mit mir wollt Fastnacht halten, dem Brauche nach, dem guten, alten.“ Der Brauch zum Gebäck war, „auf einen Faschingskrapfen“ einzuladen, wenn man eine Gesellschaft gab. Das zeremonielle Teilen eines Krapfens konnte einer Verlobung gleichkommen. Legendär ist eine Mandolettibäckerin beim Pailertor, namens Cäcilia Krapf(en), die die Köstlichkeit anno 1615 erfunden haben soll, „... welches kostbare Gebäck alsogleich auch ihren Namen erhalten, von vielen Leuten aber auch Cilly-Kugeln benannt wurde“.[450]
1804 schrieb der „Eipeldauer“ als humoristischer Kritiker seiner Zeit: „Wenn ich’s aber auch vergessen wollt’, daß wir noch im lustigen Fasching sind, so würden mich schon d’ Krapfen dran erinnern. Man geht fast durch kein Gassen, wo man nicht ein Schüssel mit Krapfen bei ein Gwölb stehn sieht. Einige haben, wie d’ idealischen Paröckenköpf, ein gläsernes Kastel drüber, damit kein Staub dazu kommt, andere aber lassen s’ wieder gern einstaub’n, damit s’ den Zucker ersparn. Aber auch d’ halberte Wienerzeitung ist voller Ankündigung von Faschingskrapfen.“ Zur Josephinischen Zeit gab es im Inseratenteil der Wiener Zeitung eine eigene Rubrik für die Krapfenbäckerinnen. Man konnte gefüllte und ungefüllte Faschingskrapfen zum Preis von einem bis drei Kreuzer bestellen oder frisch kaufen. Qualität und Preise stiegen in den folgenden Jahren sprunghaft an. Um 1800 kostete ein „extrafeiner“ so viel wie ein ganzes Mittagessen.[451]
Aus der Zeit Kaiser Karl VI. ist von einem „Krapfenschießen“ bei Hof die Rede. Studenten maßen sich im Wettessen und sollen es auf 30 Stück gebracht haben. Wirte lockten Gäste mit Gratiskrapfen in ihre Häuser. So warb 1854 das Lokal „Zum Engländer“ in der Währinger Straße 26 um Ballbesucher, indem es ihnen Krapfen versprach, in die Geldstücke eingebacken waren. Im Fasching 1815 sollen in Wien zehn Millionen Krapfen gebacken worden sein. Im Laufe der Zeit ist die fette Mehlspeise zum „Allerweltsgebäck“ geworden. Gefüllte Nougatkrapfen, Vanillekrapfen, Powidlkrapfen, die mit Mohn bestreut sind, Apfelkrapfen, Bauernkrapfen ohne Füllung und ringförmige Donuts ergänzen das ganze Jahr über das Angebot.
Wie andere europäische Hauptstädte besaß Wien Mitte des 15. Jahrhunderts eine „Bürger- Kavallerie“, die an den letzten Tagen vor der Fastenzeit auf der Brandstätte ihre Turniere abhielt. „Man liest in einem Manuskript vom Jahre 1436 unter den Ausgaben auf Schankhung: ‚Item umb die klainod die man den jungen Burgern zu der Vastnacht geschenket hat, zum Stechen 5 tt 45 dl.‘ etc. 1438 unter der Rubrik: Stechen auf der Prantstatt den herrn umb Wein und prot 60 Denar, endlich 1444: den jungen Burgern umb zwey hefftel darumb man an allermann Vaschangtag gestochen hat, ex jussu consilii 4 tt 3 Schilling.“, berichtet der Historiker J.E. Schlager aufgrund von Archivalien: „Es war demnach dieses Bürgerstechen auf der Brandstatt am Vaschangstag (Faschingsdienstag), wo derley Lustbarkeiten auch in andern deutschen Städten üblich waren (in Frankreich waren an den drey Tagen vor der Fasten sogar die sonst verbothenen Turniere gestattet) welches, wie hier zu sehen, in Beiseyn der Herrn (Bürgermeister und Räthe) abgehalten, und durch Preise aus dem Stadt-Aerar begünstigt wurden, eine Aufmunterung zur Uebung und Aufnahme der jungen berittenen Bürgerschaft. ... Von diesem Bürgerstechen aber muß es bald abgekommen sein, da nach dem Jahre 1444 durchaus keine Spur mehr erscheint.“[452]
Die Kirche gab im Mittelalter den Anstoß zu einem Brauch, der sich in der Folge zu seiner Parodie entwickelte: das Faschingbegraben. Die Bestattung (Depositio) des Halleluja stammt aus der Ostkirche. Die Zeremonie im Rahmen eines Requiems sollte den Ernst der kommenden Zeit veranschaulichen. Ludwig Andreas Veit wies schon 1936 darauf hin, dass es sich dabei keineswegs um eine heidnische Kulthandlung zum „Winteraustreiben“ handelt.[453] Das Faschingbegraben war 1842 unter anderem in Wien-Gaudenzdorf üblich: „Ein langer Zug von allerlei tollen Gestalten, unter welchen sich ein zahnloser uralter und pfahldürrer Ulane, auf einem der elendigsten Rosse reitend, besonders auszeichnete, führte den Popanz, der verbrannt werden sollte. Auf einem großen Leiterwagen, zum Eintragen des Getreides bestimmt, war eine Tanz- und Wirtstenne errichtet, auf welcher es sehr lustig herging. Ein zweiter Karren führte das beinahe bis zum Gräßlichen maskierte Faschingsgesindel. Auch ein ganz kleiner Schlitten war da, auf dem das armselige Bett des nun zugrunde gegangenen Faschings geschleift wurde. Ritter, Husaren und einige Trompeter füllten die Lücken des Zuges, der sich, lärmend genug, nach Meidling bewegte. Auch zu Simmering ist es Sitte, den Fasching zu begraben, wie auch in den hiesigen Militärkasernen dieses Spiel stattfand.“[454]
[410] [PötzlE 1895].
[411] [Czeike 1992]. Bd. 4, S. 451, 689.
[413] Österreichische Fremdenverkehrswerbung 1998 im Internet.
[414] Volksstimme 1990-02-18.
[415] Kurier 1990-02-21; Salzburger Nachrichten 1990-02-24.
[416] Kurier 1990-02-24.
[417] Die Presse 1999-02-13.
[418] [FuhrmannM 1739], S. 946, 1390.
[419] [Czeike 1992]. Bd. 4, S. 664.
[420] [Petermann 1908], S. 379f.
[421] [Erben 1979], S. 28f.
[422] [Pezzl/Gugitz/Schlossar 1923], S. 236.
[423] [SchmidtL 1940], S. 41f.
[424] Kronen-Zeitung 1999-01-28.
[426] [Deutsch/Wolf 1998], S. 34–47.
[427] [Aichelburg 1986], S. 51.
[428] [Petermann 1908], S. 379f.
[429] [WolfHM 2000], S. 100.
[430] [Erben 1979], S. 17.
[431] [Heim 1985], S. 52; [Wörterbuch der deutschen Volkskunde 1974], S. 199; [Veit 1936], S. 127.
[432] [Freud 1978].
[433] [Turner 1974],S. 37f zit. nach [Pfrunder 1989], S. 249f.
[434] [Küster 1986], S. 32f.
[436] [Küster 1986a], S. 20f.
[437] [Küster 1986a],S. 44f.
[438] [Becker-Huberti 1998], S. 244.
[439] [Pfrunder 1989], S. 49.
[440] Programmheft zum Konzert des Clemencic Consorts im Wiener Musikverein, 2002-02-16.
[441] [Schlager 1835]. Bd. 1, S. 275–277; Bd. 2, S. 245–278.
[442] [Neiner 1734], S. 357.
[443] [Gugitz 1949]. Bd. 1, S. 15–26.
[444] [FuhrmannM 1739]. Bd. 2, S. 1396f.
[445] [Petermann 1908], S. 382.
[447] [Küster 1986], S. 136; [Becker- Huberti 1998], S. 202.
[448] Homepage des Bund Österreichischer Faschingsgilde
[449] Stadt Wien, aufgerufen 2002-02-07.
[450] [Gugitz 1949]. Bd. 1, S. 27–33.
[451] [Gugitz 1949]. Bd. 1, S. 27–33.
[452] [Schlager 1835]. Bd. 1, S. 267–270.
[454] [Gugitz 1949]. Bd. 1, S. 86–92.